IV.
Es macht Spaß, den Verdächtigen vorzutäuschen. Sitze am Platz der breiten Strecke von der Frankfurter Alle, lese, tue als ich lese, schaue unauffällig langsam vor mich hin und her, und beobachte flüchtig, als die Geldtransporter ihr dicken Panzerwagen die zehn Meter direkt vor mir am Straßenrand parken.
Die Sonnenbrille verraten mich nicht, doch verraten tun solche sowieso. Soweit wir es wissen - ich und die zwei spiegelbrillten Geldschlepper -, starren wir einander lange an, gegenseitig und verdächtig. Mit den Kopf verfolge ich sie nicht, schaue runter auf diesen Text.
Um das Spiel ernster zu machen, könnte ich realistische Ängste hervorrufen, fast von allein. Wenn ich mich tief genau an irgendeine Peinlichkeit der Vergangenheit erinnere, zum Beispiel eine zu der Zeit im Voraus nicht klug durchdachte aber erst rückblickend peinliche Äußerung - wird Zack! - abrupt aus dieser Alpträumerei wach erschüttert, als wäre ich wahrlich wieder da gewesen, als hätte man nicht nur die nicht zurückzunehmende Realität der blöde Aussage in Erinnerung aufgerufen, sondern, bestätigend wiederholt und zugleich das erste Mal dahergeredet.
Dagegen will ich hier cooler spielen, eine Mischung aus innerem Übermut und äußerer Gelassenheit. Ich fühle es von tief in mir heraus strahlen, ganz kräftig und einzigartig berauschend dieses, und ganz gelassen lese ich weiter, als das Paar den silbernen Koffer an mir vorbei tragen und in das hinter mir stehenden Gebäude hineingehen.
Bald wird ich ihre Rückkehr spüren, sie ausschließlich mit meiner Bewusstsein verfolgen, als sei ich der unsichtbarer im All schwebenden Satellit, und sie, ein GPS Gerät aus dem billigsten neuen Plastik, befestigt am Behälter des Gelds fürs Leben.
Unsichtbar bin ich doch plötzlich nicht. Der Penner auf der Sitzbank neben mir glotzt mich ahnungsvoll an. Ich lasse sie also gehen. Mit meine Beute.
Vielleicht spielt der Penner mit. Vielleicht die Geldträger spielen auch nur. Ich ziehe weiter. Richtung Möllendorf. Sitze gegenüber dem Ring-Center.
Hier ist die Sonne am Rücken, ziehe meine Kapuze zum Schutz hoch. Wahnsinnig früh im Jahr ist es, vor der Sonne schützen zu müssen. Will eigentlich im Moment nicht mehr den möglichen Täter vorführen, da spricht mich einer an. Warum bei diesem Wetter so zudecken, wolle er wissen. Ich nehme ihn zunächst als nerviger Statist wahr, der mich in der Pause stört, anstatt der böswillige Einmischer zu wahrhaben, was er tatsächlich ist. Ich blicke ihn schweigend an. Auch gegenüber schleierhaften Linsen weiß man genau, wenn einer angestarrt wird. Gerade deswegen gibt es ein noch stärkeres Empfinden: ohne zu sehen, erahnen Bescheid. Blinde haben auch schärfere Spitzgefühle, durch die Erblindung erhöht.
Ich starre ruhig weiter, bis er sicher bestimmen kann, dass ich zwar die Frage verstanden habe, fühle mich ihm doch nicht eine Antwort schuldig. Da zieht er von unter dem Pulli die an Hals geketteten Ausweis heraus und will sich nun als Verantwortliche vorstellen. Hängt jene Frage mit dieser Verantwortung zusammen, sage ich ihm, ohne die Blickwinkel zu ändern, hätte er die beiden lieber andersrum dargestellt.
Jetzt will er behaupten, erst ab die verweigerte Antwort verdächtig worden zu sein. Klar, sage ich ihm. Aus reiner nachbarlichen Neugier hat er mich zunächst angesprochen, meine ich weiter. Also erst der bekümmerter Mitmensch, dann der zufälliger Beamter. Ironischerweise, führe ich fort, hat er sich etwas zusätzlich verraten.
Der versucht an dieser Stelle selbstbewusst zu wirken, wirkt aber verblüfft, alldieweil sein Selbstbewusstsein zwischen Wissbegier und Überlegenheit pendelt. Er will wissen, wie er sich verraten hat und, noch wichtiger, was überhaupt aus versehen verraten wurde, gibt jedoch vor, sich über diese ach so absurde Idee schlicht zu amüsieren. Er lässt mich also weiter erzählen.
Ich sage ihm, entweder ist er eigentlich ein zweiseitiger V-Mann, da solche machen gar keine Sorge, von wegen Protokoll oder so, oder aber trägt er den Stempel der V-Männergedankengut in sich, von Rechts wegen, wisse er was ich meine, sage ich ihm, und nun ganz geheim, also als nur unter uns: So einer bin ich auch, aber im höchstmöglichen Dienst. Zu sehr gedeckt, um einen Ausweis unterm Pulli tragen zu dürfen.
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