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Sunday 10 January 2016

Der Parkbank Pinkler
Kapitel XI: Hodenpflaster schützt unsre Zukunft

„Der Umfang der Arbeit bestimmt nicht den Rang des Falles, Sie sind noch weit entfernt vom Verständnis für die Behörde, wenn Sie das glauben.“
—der Vorsteher, Beim Vorsteher, Das Schloß


XI.

Zum zweiten Mal wurde er zum Abfertigungsschalter gerufen. Durchs Plexiglas kam die Stimme, »Sie möchten in den Raum C226, zum Herrn Hodenpflaster.«

»Ähm... Wie bitte?«


»Raum C, wie Charisma, und die Nummer zwo, zwo, sechs. Sie sprechen mit dem Herrn Hodenpflaster.«

Als er den engen Korridor entlang ging, flüsterte er, »Zwo, zwo... Hodenpflaster« einmal vor sich hin. An den Fahrstuhl vorbei zu dem Treppenhaus ohne Türen, stieg die zwei Etagen. Einen Schritt durch den Türstock war das Anweisungsschild nicht zu übersehen: ←A/B — C/D→

Er ging nach rechts bis Flurende und weiter nach links in den C-Flügel ein. Es fanden sich jeweils zwei Bürotüren links und rechts, am Ende ein Münztelefon. Die alle neben den Türen stehenden Sitzplätze waren leer, vermutlich besser, denn in diesem Gang war es noch enger als in den zwei zuvor. Der allgemeine Ton besagte Braun und Orange.

Erste Tür links war nicht gekennzeichnet, trug trotzdem das Gefühl von Jahrzehntelang Bewohnung und alles, was dazu hingehört: die Schnittwunden am Rahmen vom Ein- und Ausziehen, das Übermalen von der Umstellung der Regierungsübergängen und so weiter. Aufkleberüberreste zierte die Kunstholztür. Schräg gegenüber an der ersten Tür rechts blieb das Kennschild unversehrt, in solider Blockschrift: Herr Hodenpflaster.

Er klopfte zweieinhalb mal und hörte darauf etwas, was genauso gut Aufstöhnen oder Geh weg! hätte sein können wie formelles Hereinbitten. Er ging rein. Es stellte sich sofort heraus, letzteres gewesen zu sein. Unmittelbar nach dem Eintreten stieß er auf begeisterte Augen, von Pornobalken unterstrichen, und eine fast flüstern-kreischende Tenorstimme, die bat, »Nehmen Sie bitte Platz!«

Alles im Büro schien zum Muster im Flur zu passen, außer dem vor ihm angebotenen Ledersessel, dem Gleichen schwarz des Gegenübers, und dem Schreibtisch dazwischen, dieser immerhin braun. Unfreiwillig tief in dem weichen schwarzen Sessel gesunken, starrte er direkt auf das Schreibtischnamensschild mit gesammelten Großbuchstaben: HERR HODENPFLASTER.

»Ein glücklicher Zufall, als zuständiger Sachbearbeiter in Ihren Diensten zu stehen! Ihr Fall ist wohl bekannt hier im Haus und ich wage es zu behaupten, dass ich ein Neidobjekt bin, da für die reine Zufälligkeit eines Anfangsbuchstabens! Eine Kollegin hat mir soeben am Eingang gespannt gesungen, dass ich heute Morgen mit dem Überlebenskünstler zu tun habe!

Ich denke nur... also, es gibt eine phrasenhafte Frage auf Englisch: Thriving or surviving? Das heißt, so unfassbar geschickt wie Sie auf der Straße... auf die Dauer... überleben, könnten Sie der mächtigste Mensch der Welt werden, müssen die Macht halt in die eigene Hand nehmen und ausüben. Natürlich müssen Sie um den Anderen herum können, der das Gleiche tut. Ein gewisses Risiko eingehen.

Wie ich, zum Beispiel. Ich hab im Moment das Sagen. Sie könnten mich später aber auf einem Parkbank erschlagen. Das Machtgefühl muss ja riesig sein. Ich kann gerade nicht bestreiten, dass dies sich zu einer stärkeren Existenz eignet. Meinen Sie, der Herr, dass Gefängnis schlimmer ist als Existenzminimum?

Hier müsste man bloß entscheiden, würde einer lieber der Frank Sinatra oder der Gunther Jauch der Baustelle sein? Keine einfache Wahl. Frank Sinatra hat halt als Mafia-anhängsel den Mord von jenem Starlet übersehen müssen und als Freund und Mitläufer des Schwagers vom Presidenten... dieser ausgerechnet mit Codenamen Lancelot... den Anfang vom Ende Camelots beigesteuert.

Und Gunther Jauch? Bitte. Stellen Sie mal folgendes vor. Der Jauch kommt ins Büro hinein, hat ein Meeting da mit dem mächtigen Mensch. Dieser sitzt schon dort, wie Sie nun, auf dem breiten Sessel... auf Platz vom vorgeblichen Mandant, sozusagen... also, nicht gerade wie ich, hinterm Tisch mit Kuli in der Hand. Nein.

Er sitzt, schon auf Jauch wartend, Hose ganz runter mit dem steinsteifen Schwanz ganz hoch wie ein Flaggenmast. Das Wappen der Blutlinie... selbst wie aus der Bronzezeit aussehend... formt sich unheimlich geprägt aus den pulsierenden Dorsalvenen. Unverzüglich, im Ton nichts unübliches, befielt der Mächtige, Bringen Sie mir das Glas Vaseline von dem Fensterbrett herüber.

Was macht der Jauch? Hat er Angst? Freut er sich? Und was will der Mächtiger damit sagen? Ist dieser Platzwechsel eine Art von doppeldeutigem dienen und gedient werden Gebot? Sie glauben jetzt gerade, das ist ja eine komische Sache. Sicherlich. Sicherlich ist es, meine ich. Sicherlich ist es eine komische Sache.

Der Jauch dagegen geht ohne zu zögern zum Fensterbrett und nimmt das Glas in die Hände. Ein Moment lang steht er da bevor er anfingt, zu zittern. Aus Angst? Aus Freude? Egal. Da lächelt ihm der Mächtiger herausfordernd zu, und mit Augenbrauen gehoben so stolz wie sein Glied, ruft in Brummstimme auf, Wer will Millionä--är!

Und als wäre das der Auslöser der unheiligen Messe, beugt sich der Jauch unmittelbar nach vorne und stimmt dem Teufelspakt zu, singend, Fick mich, du miserabler Hurensohn. Du miserabler Hurensohn fick mich. Und dann so weiter mit dem streck ihn aus und mach es sehr schnell rein und raus. Ein magisches Schwein wird erwähnt und vieles über Spritzen und zum Schluss die Bitte, das Sofa nicht zu bekleckern!« Hier brach der Hodenpflaster in schallendes Gelächter aus.
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Im stechenden Blutgeruch ist er aufgewacht, in Angstschweiß zu Sinnen gekommen, der Eindruck von Eisen verbundenen Holzbrettern in den Rücken. Ein strebender Blick zu Füßen sieht diese auf die Grunerstraße gerichtet, und weiter gegenüber auf den Gang zu Dunkin' Donuts. Sein Kopf sich akut wie eine Hirnschale fühlend —,  muss denn auf die Klosterkirche zeigen. Im Umkreis vom Alex. Sein Reich.

Der Geruch wird von brühwarmen Erinnerungen durchdrungen, diese noch von Uringestank beeinflusst, und lecken langsam aus dem Schädel. Schwarzweiß Magie ist eine. Außerdem hat jemand Voodoo der Einheimischen besagt. Der König liegt nun im Sterben. Kopf zu Hirnschale,  Hirnschale zu Totenkopf.

Der Gestank wirkt stärker. Von ihm könnte er aber gar nicht stammen, weil schon die letzten 24 Stunden keinen Sud zu sich genommen wurde. Von so geschickt einem Überlebenskünstler dürfte gar nicht die Rede sein. Die letzte Worte, die aus dem Hauptteil sickerte, sind, »Glauben Sie, dass sich die Ameise Bild-Zeitung wegen Mangel an Zivilcourage? quälen?«

Leib am Kloster
Erneut ist es zum Mord unweit vom Alexanderplatz gekommen. In der Nacht zu Dienstag ist ein Obdachloser vermutlich in der Klosterruine in Mitte erschlagen worden. Die Leiche wurde am frühen Dienstagmorgen von Touristen auf einer Bank entdeckt. Zu dieser Zeit schon suchten Zielfahnder dem im Milieu gut bekannten Berliner, weil er nicht zum vereinbarten Termin erschienen war.



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