__



Wednesday 11 August 2021

Der Parkbank Pinkler Kapitel XXVIII:
Brandstift damaligner Nicht-Ort Bewohner

Mit der Allegorie ist es wie mit dem Wetter. Sie realisiert sich, wenn sie erkannt wird, ungeachtet der Aussichten.
—Der Autor
 
XXVIII.
 
Sehr geehrte Frau Kommissarin,
 
zuerst einmal,  um es gleich auf den Punkt zu bringen: Es hat sich hier drin herumgesprochen, und es wurden Schlussfolgerungen gezogen, um die Auswahl der Insassen in der jüngsten Vernehmung und Ihre dahinter stehenden Begründung. Ob die Kenntnis von dieser Informationen Ihre Untersuchung beeinträchtigen könnte, wissen Sie sicher besser als ich.

Was mich jedoch zu diesem Schreiben bewegt, ist eine persönliche Verpflichtung im Hinblick auf eine erfolgreiche Festnahme, auch wenn es für uns in dieser Einrichtung die eine extra Gefahr bedeutet, die ich gerade hier vermeiden versuche.

Sie haben das richtig gelesen. Ich habe es erfolgreich geschafft, verurteilt zu werden, weg von der Straße zu kommen zu der Zeit, als der vermeintliche Mörder immer noch sein Unwesen trieb.

Ob die Gefahr derzeit unter uns ist, weiß ich nicht. Ich bezweifle es irgendwie. Aber ich bin froh zu wissen, dass Sie die Sache ernst genug nehmen, nicht aufzugeben, nur weil die Morde scheinbar aufgehört haben.

Wenn das Gerücht also stimmt, werden Sie mich nicht befragen, denn es wird vermutet, dass Sie sich auf Verdächtige konzentrieren, die um die Zeit herum inhaftiert wurden, als die Morde plötzlich aufhörten. Nach meiner Inhaftierung gab es meines Wissens nach noch weitere.
 
Nun möchte ich an dieser Stelle ein großes Aber setzen. Der Mord von Obdachlosen hat in Berlin nicht aufgehört. Natürlich nicht. Ob dieser verdammte Mörder schlicht seine Unterschrift abändert?
 
Ich verstehe, dass dies der Standardtheorie über die geltende Psychopathologie zuwiderläuft. Ich habe gelesen, dass das einzigartige Merkmal seines Delikts eine Art Reviermarkierung sein soll. Doch denken Sie mal nach. Haben Sie sich schon den Kick aus der Perspektive des bösartigen Narzissten vorgestellt, zu wissen, wie jedes Mal, wenn ein Penner im Park tot aufgefunden wird, dass jedes einzelne Ergebnis der finalen Akt der Notdurft gegen eine Probe des mutmaßlichen Killers zu prüfen ist?
 
Was sagt uns das darüber, ob er weiterhin das Bedürfnis haben würde, jedes Mal seine Unterschrift zu hinterlassen? Wenn diese eher als Male auf seinem Anwesen betrachtet wird, bekommt die Beziehung zu seiner äußersten Herabsetzung derer, die keinen Wohnsitz haben, zusätzliche Interpretationen.

Vielleicht deutet der Mörder auf das absurd rechtliche Konstrukt hin, was von jemandem verlangt wird, um ein Zuhause in dieser Welt zu haben. Vielleicht denkt er, dass er seine Opfer von diesem Bedarf befreit und richtet seinen Stichelei und Zorn gegen die Vollstrecker des Rechts, die anders tun würden. Nur so ein Gedanke.
 
Nicht dass ich auch nur kurz glaube, dass der bösartige Narzisst Mitgefühl mit dem Mann auf der Straße hat. Es wäre nur eine weitere Ausrede, um sich gegenüber dem Stand der Dinge um ihn herum überlegen zu fühlen. Es ist leider allzu simpel, sich gegenüber diesem Zustand überlegen zu fühlen. Es ist Teil des menschlichen Abwehrmechanismus, sich von diesem Massenwahn zu unterscheiden.
 
Gelinde gesagt, bin ich unglücklich damit, was ich getan habe, um diese Bleibe zu bekommen. Mein Unrecht auf Bleiberecht, nenne ich das. Dieser Kalauer tröstet mich nicht. Doch irgendwie beschäftigt mich in letzter Zeit der Unterschied zwischen meinem früheren Leben mit offenkundiger Schlamperei und meinem noch früheren Leben, das so aufrecht und ordentlich war, aber in Wirklichkeit mein Gift einfach unter den Teppich kehrte, da, klar, unsere zuständige Behörden sich darum kümmern bzw. sich dafür interessieren, ähm, lassen.

Letzteres ist das erste Leben, das ich zu leben gelernt habe. Wie bei den meisten von uns. Man nennt es Gesellschaft. Und doch bin ich mir so gut wie sicher, dass ich damals unserem gemeinschaftlichen Wohlbefinden und damit jedem einzelnen von uns mehr geschadet habe als ich seitdem mit meinem Fehlverhalten tue. Es fällt mir eben jetzt etwas ein: Dieser Wichser bringt diejenigen um, die den harmlosesten Fußabdruck haben.
 
Unter welchen Bedingungen entsteht die Dynamik von Angebot und Nachfrage? Warum müssen die einen ihre Kraft absetzen, während die anderen sie aufnehmen? Können solche Transfers jemals verstanden als zugestimmt geworden zu sein? Und nun, wo wir die kolossale Kosten kennen, warum wird dann beachtet, dass wir alles ändern müssen, nur nicht diese Dynamik? Ich sehe nur Werbung und Plakate.
 
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren weiteren Ermittlungen.
 
Mit freundlichem Gruß, wenn eventuell auch eine andere Art der Hochachtung
 
Häftlingsnummer 78906-54

__